Univ.-Prof. Mag. Dr. Martin Kocher im STANDARD Interview über das Budget der aktuellen Regierung. (Printausgabe vom 22. März 2018)
Der Budgetentwurf sei eher pragmatisch, sagt der Leiter des Instituts für Höhere Studien, Martin Kocher. Für eine substanzielle Entlastung bräuchte es mehr Ambitionen
STANDARD: Das Budget für heuer und nächstes Jahr wird je nach Standort kontroversiell kommentiert. Wo sehen Sie die großen politischen Akzente?
Kocher: Insgesamt würde ich das Budget als pragmatisch bezeichnen. Die großen politischen Akzente sieht man nicht. Es wird an der einen oder anderen Schraube gedreht. Der Finanzminister hat in seiner Budgetrede den Fokus auf den Budgetüberschuss gelegt, der erstmals nach sehr langer Zeit angestrebt wird. Am stärksten lassen sich Akzente bei Sicherheit, Forschung und Bildung erkennen. Bei Arbeitsmarkt, Asyl und Justiz geht es eher in Richtung Einsparung. Das ist aber alles nicht sehr ausgeprägt.
STANDARD: Wie stark ist der Rückenwind für die Budgetkonsolidierung durch die Konjunktur, die höhere Einnahmen in den Haushalt spült?
Kocher: Der Rückenwind ist sehr stark. Die Gründe dafür sind die gute Konjunkturlage, die extrem niedrigen Zinsen auf die Staatsschulden, der wegen der höheren Inflation durchaus substanzielle Effekt der kalten Progression und das rasche Absinken des Schuldenstands durch die Abwicklung der Heta (frühere Hypo Alpe Adria, Anm.), die besser läuft als erwartet. Da gibt es schon Effekte, die das Erreichen eines Überschusses erleichtern. Allerdings gab es auch in der Vergangenheit vergleichbare Rahmenbedingungen, ohne dass ein Budgetplus erzielt wurde. Ganz kleinreden sollte man die Haushaltsentwicklung somit auch wieder nicht.
STANDARD: Hätte man ambitionierter vorgehen können, auch um mehr Spielraum für eine Steuerreform 2020 zu schaffen?
Kocher: Natürlich wäre das gut gewesen, insbesondere im Jahr 2019. Offensichtlich wollte das die Regierung politisch nicht machen. Dazu kommt, dass die Belastung laut Finanzminister unabhängig von der Steuerreform um 1,9 Milliarden Euro sinkt, beispielsweise durch den Familienbonus. Das hätte man nicht machen müssen. Da wäre auch eine restriktivere Budgetpolitik möglich gewesen. Das ist aber eine politische Festlegung. Eine substanzielle Entlastung 2020 wird jetzt schwieriger, da man sie gegenfinanzieren muss.
STANDARD: Im Fahrplan stehen einmal rein formal 3,5 Milliarden für eine Entlastung. Das ist ja nicht viel mehr als die Abgeltung der kalten Progression seit der letzten Steuerreform 2016. Wäre das in Ihren Augen ein Leuchtturmprojekt, von dem die Regierung spricht?
Kocher: Wenn die Abgabenquote tatsächlich in Richtung 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen soll, dann müsste die Entlastung größer ausfallen als die von Ihnen genannten 3,5 Milliarden Euro. Eine substanzielle Steuerreform müsste schon rund fünf Milliarden Euro ausmachen. Dafür müsste man aber auch in gewissen Bereichen Einsparungen vornehmen, um internationalen Verpflichtungen wie den Maastricht-Kriterien Rechnung zu tragen.
STANDARD: Apropos EU: Hier lehnt Bundeskanzler Sebastian Kurz Mehrbelastungen beim Beitrag in Zusammenhang mit dem Austritt des Nettozahlers Großbritannien aus der Europäischen Union ab. Ist diese Position bei den anstehenden Verhandlungen realistisch?
Kocher: Da bin ich gespannt, wie sich dieser Punkt auflösen wird. Wenn die Regierung ganz klar sagt, dass sie keine höheren Beiträge für die Europäische Union leisten will, steht sie damit im Widerspruch zur Position Deutschlands und Frankreichs. Zehn Milliarden Euro wegen des Brexits in der EU zu sparen wird nicht so leicht umzusetzen sein. Da bin ich gespannt, wie das politisch erreicht werden soll. Während einer EU-Präsidentschaft, die Österreich im zweiten Halbjahr innehat, wird traditionell eine Vermittlerrolle eingenommen. Das wird somit nicht ganz einfach werden.
STANDARD: Rechnerisch liegt die drohende Mehrbelastung im Zusammenhang mit dem Brexit bei 400 Millionen Euro. Zahlt es sich aus, wegen dieser Summe gröbere Konflikte innerhalb der EU zu riskieren?
Kocher: Ich denke, da kann man durchaus kompromissbereit sein. Mich wundert, dass sich Österreich in diesem Punkt so stark positioniert. Warum das so ist, weiß ich auch nicht genau.