Ein Interview mit Jörg Borrmann, Institut für Finanzwirtschaft
Heute am 31.10. wird auch in Österreich wieder einmal der Weltspartag begangen, der vor 100 Jahren in Mailand ins Leben gerufen wurde. Ist das eigentlich ein Grund zum Feiern?
Es ist vor allem ein Anlass, einmal in Ruhe darüber nachzudenken, wie sich das realisieren lässt, was sich die vielen Sparerinnen und Sparer hierzulande wohl wünschen und am 31.10. ins Gedächtnis rufen. Erstens möchten sie ganz bestimmt eine ausreichend große finanzielle Reserve in der Form des berühmten Notgroschens haben, d.h. sie hätten gewiss gerne einen gesunden Polster für unerwartete Notfälle und ungeplante Ausgaben. Zweitens dürften sie ihre finanziellen Überschüsse langfristig gewiss so veranlagen wollen, dass sie sich ein kleines oder – noch besser – ein großes Vermögen aufbauen können, das ihnen finanzielle Freiheit verschafft.
Bleiben wir doch erst einmal beim Notgroschen. Wie groß sollte der Sicherheitspolster denn eigentlich sein?
Dessen optimale Größe ist individuell sehr verschieden. Bei jemandem, dessen Job sehr sicher ist, ist der optimale Sicherheitspolster beispielsweise kleiner als bei jemandem, dessen Job sehr unsicher ist. Bei Menschen, die hohe fixe Ausgaben haben, ist der ideale Notgroschen größer als bei Menschen, die niedrige fixe Ausgaben haben. Eine sehr simple und immer wieder genannte Faustregel sind drei Netto-Monatsgehälter pro Haushalt. Dieser Betrag sollte idealerweise in sehr liquider Form vorhanden sein.
Und was ist mit der langfristigen Veranlagung? Ist dies eine Erfolgsstory, die man am Weltspartag erzählen kann?
Auf den ersten Blick scheint das Finanzvermögen der österreichischen Haushalte in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen zu sein, seit 2019 etwa um fast ein Fünftel. Das ist aber eigentlich eine optische Illusion, da wir hier von so genannten nominalen Werten sprechen, die nicht berücksichtigen, dass die Kaufkraft des Euro in diesem Zeitraum stark gesunken ist. Real, d.h. unter Berücksichtigung des Kaufkraftverlustes, liegen wir in diesem Zeitraum tatsächlich deutlich im Minus. Dies ist ein im Vergleich zu vielen anderen wohlhabenden Ländern im Euroraum sehr niedriges Ergebnis.
Woran liegt das? Machen die Österreicherinnen und Österreicher etwas falsch?
Ein Grund dafür liegt darin, dass viele Menschen hierzulande eine besonders starke Neigung zu ganz bestimmten Anlageformen haben. Mehr als ein Drittel der Ersparnisse der Haushalte war im Vorjahr auf Sparbüchern, Festgeld-, Tagesgeld- und Girokonten zu finden, das ist ein höherer Prozentsatz als in vielen anderen Ländern im Euroraum. Warum das so ist? Teilweise lässt es sich gewiss mit einer besonders ausgeprägten Risikoscheu bzw. Verlustaversion in Österreich erklären. Immerhin unterliegt ein sehr großer Teil dieser Ersparnisse der Einlagensicherung, auch gibt es hier keinerlei Kursrisiko. Hinzu kommt ein weiterer Grund für das niedrige Ergebnis: dass der Kaufkraftverlust in Österreich nämlich besonders hoch ausgefallen ist.
Können Sie Ratschläge geben, wie man sich als jemand, der Vermögen aufbauen will, besserstellen kann?
Klar ist, dass die langfristige Geldanlage in ein breit gestreutes Aktienportfolio eine deutlich höhere Rendite erwarten lässt als eine Veranlagung in festverzinslichen Wertpapieren und als das Parken von Finanzmitteln auf Sparbüchern oder Festgeldkonten, von Girokonten ganz zu schweigen. Dies spricht jedenfalls dafür, einen gewissen Teil dessen, was man etwa für das Alter haben möchte, durch eine Veranlagung in Aktien zu erzielen. Das ist natürlich nicht ohne Risiko. Kurse können auch fallen, das muss man wissen und berücksichtigen. Und die Zukunft kann natürlich immer ganz anders sein als die Vergangenheit. Bei sehr langen Veranlagungszeiträumen ist die Häufigkeit eines nominalen oder realen Verlustes der veranlagten Finanzmittel – historisch betrachtet – allerdings viel kleiner gewesen, als viele Menschen glauben. Die Furcht vor einem „Crash“ hält viele davon ab, an Aktien auch nur zu denken. Aber tatsächlich hat sich gezeigt, dass die durch solche „Crashes“ verursachten Verluste zumeist schon nach wenigen Jahren wieder ausgebügelt werden konnten. Außerdem kann man den Aktienanteil am eigenen Finanzvermögen im Laufe seines Lebens ja auch senken. Kurz vor der Pension ist man typischerweise nicht mehr bereit, ein hohes Risiko zu tragen. Eine Garantie, dass man nie Kursverluste wird tragen müssen, die gibt es bei einer Aktienanlage aber natürlich nicht!
Muss man nicht in Wahrheit sehr viel wissen, um sinnvoll in Aktien veranlagen zu können? Kann man hier nicht auch sehr viel falsch machen?
Man kann hier tatsächlich sehr viel falsch machen, da gebe ich ihnen Recht. Für die Aktienanlage braucht man jedenfalls ein gewisses Grundwissen. Wenn man aber ein paar einfache Regeln beherzigt, ist das kein gar so hoffnungsloses Unterfangen mehr. Eine besonders wichtige Regel ist die Diversifikation, die Risikostreuung! Erstens sollten Aktien ja nur ein Teil des eigenen Finanzvermögens sein, zweitens sollte man sich an vielen verschiedenen Unternehmen aus vielen verschiedenen Branchen und Ländern in Form von Aktien beteiligen. In einem so gestalteten Portfolio werden typischerweise einige Aktien an Wert verlieren, während andere an Wert gewinnen. Insgesamt gleicht sich das dann im Durchschnitt sehr oft gut aus, und man steigt dabei –hoffentlich – insgesamt positiv aus. Hält man Aktien über einen langen Zeitraum hinweg, gleichen sich zudem typischerweise sogar Kursverluste des gesamten Portfolios in einem Jahr und Kursgewinne in anderen Jahren aus. Die im Vorhinein erwartete Rendite über einen langen Zeitraum hinweg ist hier jedenfalls positiv. Eine Garantie, dass es im Nachhinein immer gut gegangen sein muss, ist das aber nicht.
Ist das Halten vieler Aktien nicht mit hohen Ausgaben verbunden? Was kann ich tun, wenn ich nur kleine Beträge veranlagen will oder kann?
Dann kann ich zu Anteilen von Aktienfonds greifen, bei denen eine Kapitalanlagegesellschaft für mich viele verschiedene Titel kauft und hält und insofern für mich diversifiziert. Dabei gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Es gibt viele Fonds, die aktiv gemanagt werden, das sind solche, bei denen der Fokus auf einer selektiven Zusammensetzung und auf einer aktiven Steuerung des Aktienportfolios liegt. Solche Fonds haben nicht selten ein teures Fondsmanagement, das die Anleger auf dem Wege von Wertminderungen bei ihren Anteilen bezahlen. Das Anlageergebnis solcher Fonds ist auf lange Sicht daher oftmals eher wenig beeindruckend. Sie empfehlen sich aus Kundensicht nur für Teilmärkte, die sehr spezialisiertes Know-how verlangen. Und dann gibt es passiv gemanagte Fonds, welche die Wertentwicklung eines Finanzindex replizieren. Hier sind insbesondere die so genannten ETFs (Exchange Traded Funds) zu erwähnen. Dies sind einen Index abbildende börsengehandelte Fonds. Viele ETFs stellen eine besonders kostengünstige Möglichkeit dar, in einen breiten Markt zu investieren. Das ist vor allem für jene Anleger attraktiv, die kein teures Fondsmanagement bezahlen möchten und die einfach nur eine hohe Risikostreuung anstreben. Natürlich muss man dann bei der Auswahl eines ETFs darauf achten, dass ein Index nachgebildet wird, der viele verschiedene Aktien enthält und der auch hinreichend kostengünstig ist. Hier gibt es im Internet viele Vergleichsportale, die bei der Auswahl helfen. Natürlich kann man auch Anteile an verschiedenen ETFs erwerben, sodass man eine noch größere Risikostreuung erzielt.
Was ist sonst noch bei der Aktienanlage zu beachten?
Man sollte einen eher langen Anlagehorizont haben. Dann fallen Kursverluste, die in einem bestimmten Zeitintervall anfallen, langfristig nicht so sehr ins Gewicht – und man partizipiert am langfristigen Wirtschaftswachstum, das ja für so viele Perioden in der Vergangenheit charakteristisch war. Außerdem hat sich immer wieder gezeigt, dass das Timing beim Aktienkauf und -verkauf allenfalls zufällig, aber so gut wie nie systematisch gelingt. Die Vorstellung vieler Menschen, dass man doch durch die geschickte Auswahl eines Kaufzeitpunktes mit einem niedrigen Kurs und die ebenso geschickte Auswahl eines Verkaufszeitpunkts mit einem hohen Kurs leicht einen Kursgewinn realisieren können müsste, ist naiv. Nicht einmal Profis schaffen das in systematischer Weise. Durch häufiges Kaufen und Verkaufen werden dagegen schnell hohe Kosten generiert, die man leicht vermeiden kann. Wenn man aber geduldig ist und einen langen Anlagehorizont hat, zeigen sich vielfach beachtliche Anlageerfolge. Die einfache Regel lautet: Time beats timing!
Nun haben wir lange über die Aktienanlage gesprochen. Was ist denn eigentlich mit Gold, das in letzter Zeit ja immer wieder in die Schlagzeilen kam? Stichwort: Allzeithoch!
Auch Gold kann man sehr gut zur Wertaufbewahrung nutzen, und es kann ein relevanter Teil des Portfolios sein. Man muss aber aufpassen. Wenn man nur einen sehr kurzen Anlagehorizont hat, können sich Probleme ergeben. So ist es möglich, dass man bei Gold sogar über mehrere Jahre hinweg spürbare Verluste erleiden muss. Über sehr lange Zeitperioden hinweg ist Gold aber in der Geschichte so gut wie immer ein sehr guter Wertspeicher gewesen. Anders als Aktien kann man hier jedoch nicht wirklich am Wirtschaftswachstum partizipieren, was die langfristige Rendite des Goldes limitiert. Man finanziert im Allgemeinen keine Unternehmen, Gold liegt ja typischerweise einfach nur herum – und ist zudem sogar zu bewachen oder bewachen zu lassen. Ein Vorteil des Goldes ist es aber, dass es sich in Krisenzeiten sehr oft als sicherer Hafen erwiesen hat. Dies ist eine Eigenschaft, die Gold auch künftig beibehalten dürfte, sodass man mit Gold zu einem sehr hohen Grad das eigene Portfolio versichern kann. Gerade in so unruhigen Zeiten wie jetzt, in denen wir es mit so vielen geopolitischen Spannungen, Konflikten und Kriegen zu tun haben, hat Gold einen besonderen Wert, was auch ein Teil der Erklärung für seinen aktuell hohen Preis ist. Außerdem eignet es sich prinzipiell sehr gut zur Risikostreuung. Der Goldpreis ist mit dem zyklischen Auf und Ab der Aktienmärkte nur sehr, sehr wenig verbunden. Zudem haben wir in den vergangenen Jahren auch durch Zentralbankkäufe hervorgerufene Zuwächse beim Goldpreis gesehen, über die sich Goldeigentümer gefreut haben. Diese könnten in nächster Zeit fortgesetzt werden.
Kann man eigentlich auch mit dem Erwerb von Wohneigentum „sparen“?
Viele Österreicherinnen und Österreicher streben ein selbst genutztes Haus oder eine selbst genutzte Wohnung im Eigentum an und finanzieren den Kauf großteils durch Kredit. Wenn man es schafft, den Kredit während des Erwerbslebens zurückzuzahlen, hat man im Alter dann keine Mietausgaben mehr zu tätigen und somit geringere laufende Ausgaben, als sie ein Mieter hat. Die Alternative hierzu ist offensichtlich, stets zur Miete zu wohnen und dafür mehr in andere Vermögensgegenstände zu investieren. Das dürfte bei geschickter Geldanlage oft eine sehr gute Idee sein. Andererseits muss man aber auch sehen, dass sich die beiden Alternativen Kauf und Miete nicht nur in finanzieller Hinsicht unterscheiden. Für viele Menschen ist es auch von emotionaler Bedeutung, Immobilieneigentümer zu sein. Zudem sind beim Wohneigentum mehr Gestaltungsspielräume gegeben als bei Mietobjekten. Insofern vergleichen wir hier verschiedene Güter.
Eine abschließende Frage: Sie haben heute viele Ratschläge gegeben. Sind Ihre Empfehlungen nicht eigentlich auch zu einem gewissen Grad risikobehaftet bzw. mit Unsicherheit verbunden?
Ja, ohne Frage! Deswegen möchte ich explizit betonen, dass ich natürlich keinerlei Haftung für eventuelle Verluste oder für als unzureichend empfundene Gewinne übernehme. Ich möchte hier auch keinesfalls Werbung für den Erwerb von diesem oder jenem Vermögensgegenstand oder für diese oder jene Form der Geldanlage machen. Natürlich ist alles, was ich in diesem Interview kundgetan habe, wie es in der Wissenschaft selbstverständlich ist, Information nach bestem Wissen und Gewissen. Eine Gewähr des Anlageerfolgs gibt es aber natürlich nicht. Die Zukunft kann niemand prognostizieren. Weiters möchte ich hervorheben, dass das Sich-Gedanken-Machen über die Geldanlage am Weltspartag keine professionelle und individuelle Anlageberatung ersetzen kann. Selbstverständlich unterscheiden sich die Menschen hinsichtlich ihres Lebensalters, ihrer Risikoeinstellung, ihres zeitlichen Anlagehorizonts, ihrer familiären Situation, ihres aktuell bereits vorhandenen Portfolios etc. Bei einer guten individuellen Anlageberatung wird darauf natürlich Bezug genommen. Und zum Abschluss möchte ich außerdem ein besonders wichtiges Stichwort nennen: die viel zitierte „financial literacy“! Je besser es um das eigene Finanzwissen und -verständnis bestellt ist, desto besser kann man die Qualität von Angeboten zur Veranlagung einschätzen und ein umso besseres Anlageergebnis ist zu erwarten. Wer seine Finanzkompetenz erhöhen möchte, hat die Wahl zwischen vielen seriösen privaten Angeboten. In Österreich können außerdem von staatlicher Seite beispielsweise die FMA oder die OeNB dabei helfen. Eine besonders elegante, umfassende und anspruchsvolle Form des Erwerbs von Finanzkompetenz ist natürlich ein Studium. In diesem Bereich bietet die Universität Wien insbesondere die Möglichkeit eines Masterstudiums „Banking and Finance“ an!
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