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Beitrag: Univ.-Prof. Cuñat über "Internationale Wertschöpfungsketten in der Entwicklungsrechnung" (15.10.2017)

Die großen Unterschiede zwischen den pro-Kopf Einkommen von Ländern werden in der Wirtschaftswissenschaft häufig der totalen Faktorproduktivität (TFP) zugeschrieben. Da TFP indirekt gemessen wird – als die verbleibende Erklärung für das Einkommensniveau eines Landes nach Berechnung des Beitrags aller messbarer Größen (wie z.B. des physischen Kapitals und des Humankapitals) – werden durch TFP alle Quellen von Einkommensunterschieden erfasst, die sich bislang der direkten Messung entziehen. Deshalb ist es denkbar, dass die enormen TFP-Unterschiede zwischen Ländern, die in vielen Studien festgestellt worden sind, zum Teil schlicht unser Unwissen darüber widerspiegeln, was einige Länder reich und andere arm macht.

In einem neuen Artikel heben Alejandro Cuñat und Robert Zymek (University of Edinburgh) 2017 hervor, dass frühere Studien ein wichtiges Element übersehen haben – den Effekt von Handelsverknüpfungen auf die Einkommen von Ländern. Infolgedessen überschätzen sie die Bedeutung der TFP als eine Erklärung für internationale Einkommensunterschiede. In einer globalisierten Welt ist das Einkommen eines Landes nicht nur von seiner Produktionsfaktoren und seiner Gesamtproduktivität abhängig, sondern auch von seinen Handelskonditionen in Weltmärkten und seiner "Handelsausrichtung" gegenüber anderen Ländern. Wie bedeutsam diese Komponente des Einkommens von Ländern ist, lässt sich aus neuen Daten über die Input-Output-Struktur des internationalen Handels ableiten. Die Berechnungen von Cuñat und Zymek (2017) zeigen, dass eine adäquate Beachtung der Rolle von internationalen Wertschöpfungsketten für Ländereinkommen die indirekt gemessenen internationalen TFP-Unterschiede stark reduziert.

Diese quantitativen Erkenntnisse legen nahe, dass nicht-spezifizierte "Produktivitätsunterschiede" zwischen Ländern weniger bedeutsam sind als bisher angenommen. Gleichzeitig werfen sie neue Fragen auf, denen sich die weitergehende Forschung widmen sollte. Die Analyse von Cuñat und Zymek (2017) misst Unterschiede in der "Handelsausrichtung" von Ländern auf Basis der verfügbaren Daten aber erklärt diese nicht. Die Frage, ob Handelskosten, Konsumentenvorlieben oder Technologien für die Handelsstruktur von Ländern verantwortlich sind, ist seit Langem eine zentrale Frage der internationalen Wirtschaftswissenschaft. Cuñat und Zymek (2017) legen nahe, dass ihr auch in den Erklärungen von Einkommensunterschieden zwischen Ländern größere Bedeutung zugemessen werden sollten.

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